Im letzten Sommer haben wir nach mehreren Jahren gemeinsamer großer Sehnsucht nach einem selbst gestalteten zu Hause auf Rädern mit einem Alltag, der von großer Einfachheit geprägt ist genau dafür und gegen den bestehenden Plan eines Hausumbaus entschieden. Eine neue Situation hat alle Ketten im Kopf gesprengt und den Mut für Veränderung herausgefordert. Ich war beruflich zu diesem Zeitpunkt gerade zu einem Drittel mit meinem Referendariat fertig und hatte darin noch ein Jahr vor mir, unser Haus stand kurz vor der Sanierung, für die wir einen zweiten Kredit aufnehmen wollten. Der Kurs war eigentlich auf „für immer“ in diesem Haus bleiben und es jetzt so für uns bauen, wie wir es haben möchten, ausgerichtet. Mit dem Entkernen hatten wir schon begonnen und der Prozess war schon fast abgeschlossen. Der Kreditvertrag lag schon eine Woche bereit, ohne Unterschrift drunter - Der Architektenvertrag war bereits abgeschlossen.
Als der Tag mit der Entscheidung kam, war das irgendwie plötzlich alles egal. Es fühlte sich so richtig an, so logisch und als würden wir nur gewinnen können. Ein Haus, einen Garten, ein Nebengebäude verkaufen, in das man schon viel Zeit investiert hat, für uns stand da nur ein großes JA! Es war ausgesprochen und ab dem Moment gesetzt. So viel Freiheit durchströmte unsere Körper. Kein Zurück mehr, zu viel hätten wir hergeben müssen. Die Vorstellung doch da bleiben zu müssen, wieder den alten Plänen zu folgen erzeugt in mir noch jetzt eine Schwere im Brustkorb und zeigt mir immer wieder wie viel daran doch irgendwie gar nicht ganz tief aus uns heraus kam. Klar wollen wir auch noch immer nach unserer Reise wieder in einem festen Zuhause wohnen - Haus oder Wohnung - für uns ist beides denkbar. Aber das Zuhause soll nicht mehr das Hauptaugenmerk unseren ganzen Lebens und Erlebens sein und vor allem nicht der Grund, warum wir eine gewisse Summe X verdienen müssen, damit wir die Kredite bedienen können, um weiter in unserem Zuhause wohnen zu können. Wir beide haben in den letzten Jahren kein gesundes Verhältnis zu unserem Job gehabt. Das Arbeiten war kurz gesagt geprägt von Perfektionismus, Suchen nach Anerkennung und vor allem einer Sache : regelmäßige tiefe Erschöpfung. Alex arbeitete so viel, dass er regelmäßig zwischen 150 und 200 Überstunden angehäuft hatte. Ich trage seit Jahren das Gefühl in mir, vielleicht nicht für den Beruf der Lehrerin gemacht zu sein. Viele Interaktionen, ständige Aufmerksamkeit, niemals abschalten können, stundenlanges Verarbeiten und reflektieren erlebter Situationen, ein Arbeitstag, der aufgrund von Vor- und Nachbereitungen gefühlt niemals endet. Im Berufseinstieg, fühlt sich Teilzeit an wie zwei Vollzeitjob, weil jede Unterrichtsstunde ein erstes Mal ist. Niemals weiß man, ob der eigene Plan aufgeht, welche Konflikte man erlebt, wie oft man seine eigene Grenze verteidigen muss, wie stark und wie oft die eigene Selbstregulationsfähigkeit heute herausgefordert wird. Wenn ich Vollzeit arbeiten muss, nur um wohnen zu können, obwohl mein System das gar nicht leisten kann, dann ist das nicht gesund und vor allem ist es absolut nichts was ich anstrebe. No way, denken wir jetzt. Doch das auch erst seitdem wir uns erlauben das zu denken und zulassen können zu fühlen, weil wir uns die Freiheit dafür herbei entschieden haben.
Und dafür bin ich uns so dankbar, dass wir genau in dem Moment, in dem wir springen mussten, gesprungen sind uns getraut haben neu zu denken. Vor allem haben wir diese Entscheidung für uns und allein getroffen. Wir haben nicht zugelassen, dass uns jemand durch seine Emotionen lenkt, durch den großen Wunsch uns als Freunde*innen an Ort und Stelle behalten zu wollen. Erst nachdem wir den Mut hatten mit uns ehrlich zu sein und dadurch fühlen konnten was der Gedanke mit uns macht, welches Feuer dieser in uns zündet, wie viele Ideen und leidenschaftliche Kreativität plötzlich wieder in uns arbeitete, wussten wir, unsere Entscheidungen treffen wir mit Bauch, Kopf und Herz und jetzt können so viele Gedanken, Gefühle und Sorgen von anderen Menschen auf uns einwirken und wir werden niemals in irgendeiner Art und Weise zu irgendeinem Moment anfangen zu zweifeln.
Die Veränderung und alle Ideen, die wir für die kommenden Jahre haben sind gerade unglaublich erfüllend. Vor allem, weil sie situativ angepasst sind und nicht etwas ist, was in der Zukunft umgesetzt wird, weil es irgendwann mal in der Vergangenheit beschlossen wurde. Das ist etwas Großes, was wir gelernt haben. Wir dürfen uns in gewissen Abständen immer mal wieder fragen, ob das, was wir mal geplant haben immer noch ein gutes Gefühl in uns auslöst oder wir eigentlich etwas anderes brauchen. Bei der Frage an uns selbst kam jedenfalls im Sommer raus, dass Alex mehr Familienzeit haben möchte und die Arbeit erstmal nur noch einen mini kleinen selbst eingeteilten Teil einnehmen soll und so beantragte er für die nächsten drei Jahre Elternzeit und hielt die Bestätigung dafür kurze Zeit später in den Händen. Da wir unser Grundstück und Haus verkaufen wollten, brauchten wir keinen zweiten Kredit mehr und so reicht mein Gehalt für uns zum, Leben aus. Das Ref will ich noch zu Ende machen, an manchen Tagen auch gerne mal alles hinschmeißen, aber im Großen und Ganzen ist es mir doch ein Bedürfnis das jetzt durchzuziehen.
Wenn das durch ist wollen wir eine einjährige Europareise mit einem selbst ausgebauten autarken Camper machen. Dafür haben wir uns einen Sprinter ausgesucht, Hochdach, Standard Länge. Für den Ausbau brauchen wir eh noch Zeit, was den Plan das Ref auf jeden Fall noch zu ende zu machen, untermauert hat. Und dann sind wir erstmal Nomaden. Schreibt sich super. Mir gefällt der Plan vier Monate nach dem Schmieden noch außerordentlich gut. Ich bin sehr gespannt was wir so erleben werden. Wo wir verzweifeln, weinen werden - vor Frustration, Freude, Trauer, Wut - was und zum schmunzeln, kichern und Lachen bringen wird, worüber wir uns streiten, wo wir am liebsten nicht mehr weg wollen, wo wir auf keinen Fall länger bleiben wollen und wie wir immer wieder zurück blicken werden, jeden Tag neu, auf den Vergangenen und voraus schauen auf den Kommenden. Eins steht fest, wir werden gemeinsam Wachsen. Jeder und jede für sich und aber vor allem: zusammen als Familie.
Kommentar hinzufügen
Kommentare