Unsere Radreise mit High-Need-Baby

Veröffentlicht am 22. Juli 2025 um 19:21

Es war Sommer (2023), unser Kind 10 Monate alt, wir wollten raus aus dem Alltag, ein bisschen Urlaub in der Natur machen und überlegten, wie wir das umsetzen konnten. Wir hatten ein High-Need-Baby, mit dem jeder Tag anders verlief und die einzige Garantie war, dass es einfach keine Beständigkeit in keinerlei Hinsicht gab. Sowohl der Nachtschlaf als auch der Tagschlaf war nur mit Körperkontakt möglich. Die Art und Weise wie das Einschlafen organisiert werden musste, änderte sich manchmal täglich, in guten Zeiten nur jede Woche. Ungewohnte Umgebungen führten regelmäßig zur Überreizung, für Sprotti unbekannte Menschen, mit anderen Gerüchen und ungewohnten Stimmen, lösten Ängste aus und führten zu noch mehr Regulationsbedarf. Die Trage gehörte jeden Tag genauso an den Körper wie die Kleidung. Die ersten Monate mit Kind waren anders als wir es uns jemals vorstellen konnten, es war ein Mix aus komplett verlorener Autonomie und körperlicher Überlastung. Es fühlte sich an, als würde man ständige Aufmerksamkeit auf ein und dieselbe Aufgabe richten, deren Aufgabenstellung sich aber andauernd veränderte und man somit niemals richtig liegen konnte.

Vor diesem Hintergrund war die Planung nicht nur eine, bei der man sich über die geografischen Präferenzen einigt, sondern überhaupt erstmal die Frage danach wie wir all die Herausforderungen des Alltags mit den Gegebenheiten und Eindrücken der anderen Umgebung bewerkstelligen könnten. An dieser Stelle haben wir das erste Mal festgestellt, dass eigentlich die optimale Lösung für uns ein Camper wäre, mit dem wir unsere Reisezeit flexibel anpassen könnten. Außerdem wäre die Schlafumgebung auch immer gleich und wir könnten uns jederzeit zurückziehen, wenn das nötig wäre. Doch wir hatten weder einen auf dem Hof stehen, noch hatten wir das Geld, um uns einen zu kaufen und außerdem hatten wir uns fest vorgenommen kein Auto mehr zu fahren, solange wir uns nicht irgendwann ein Elektroauto leisten konnten. Also überlegten wir wieder von vorn und sammelten was uns denn zur Verfügung stand. Wir hatten Fahrräder - ein E-Lastenrad, ein E-Bike – und einen großen Fahrradanhänger. Den Fahrradanhänger nutzten wir schon seitdem unsere Sprotte 3 Monate alt war. Die erste Fahrt machten wir im Regen zur Kinderärztin, weil wir es mit den Öffis nicht mehr rechtzeitig zum Termin geschafft hätten. Die Fahrt dauerte 20 Minuten und es war wirklich großes Glück, dass sie ohne große Komplikationen verlaufen ist. Ich wäre niemals so losgefahren, ich hätte es mich einfach nicht getraut. Zu groß war meine Angst davor, dass wir gar nicht ankommen, weil Sprotte nach wenigen Minuten protestiert hätte, so allein da hinten im Anhänger. Was für viele Familien ganz normaler Alltag war, das Kind im Anhänger, ohne viele Zwischenstopps von einem Ort zum anderen zu transportieren, während es sich entspannt umguckt oder gar einschläft, war für uns wie ein Sechser im Lotto und kam so gut wie nie vor. Auch kurze Strecken von 10 – 15 Minuten konnten wir nahezu nie durchfahren. Zum einen, weil wir elemination communication praktiziert haben, also unser Baby abhielten, sobald es ausscheiden musste und dies im Babyalter noch alle 10-15 Minuten passierte und dementsprechend der Hinweis von hinten aus dem Anhänger kam, wenn es wieder soweit war und zum anderen, weil eine Zeit von 10-15 Minuten ohne Körperkontakt schon das Limit darstellte. Diese Fahrt zur Kinderärztin fühlte sich dementsprechend wie eine Mammutaufabe an, die wir alle zusammen bewältigt hatten. Ohne Alex’ Zuversicht hätte ich es nicht versucht. So waren Fahrten im Anhänger im ersten Jahr eher selten, aber doch manchmal nötig. Wir tasteten uns langsam heran. Mal zum Einkaufen, mal zum Eisladen im nächsten Ort. Ein absolutes Highlight war der 11. Mai 2023. Ja das Datum weiß ich noch ganz genau. Es war das erste Mal, dass Sprotte auf einer Fahrt im Anhänger einschlief. Es war für uns unglaublich. Es fühlte sich so an als hätten wir das Highlight des Jahrtausends erlebt. Zu dem Zeitpunkt war Sprotte nicht ganz 8 Monate alt. Der Schlaf war nicht lang, aber immerhin. Wir dachten, ab jetzt wird es vielleicht leichter. Vielleicht ist‘s jetzt so, dass wir das zur Routine machen können. Nicht mehr Tag ein Tag aus nur mit der Trage am Körper unterwegs sein, damit das Einschlafen klappt. Entlastung für den Rücken und den Kopf. Vielleicht die Möglichkeit woanders hinzufahren, ohne für die Schläfchen wieder zu Hause zu sein. Mal davon abgesehen hieß woanders sein immer auch ungewohnte Umgebung. Entweder schnell zu viel oder zu lange zu interessant. Beides führte zur Verzögerung des Einschlafens und dann zu langem Weinen und langem Tragen und begleiten. Und das führte wiederum zu noch mehr Reizen, die auf unsere sowieso schon überreizten Systeme trafen. Deshalb war dieser eine Nap im Anhänger Anfang Mai für uns wie die Ankündigung einer kleinen Befreiung.

Und es war wirklich der Fall, dass es zunehmend immer öfter geklappt hat. Dann kam der besagte Sommer und wir wollten und mussten mal raus. Jeden Tag dasselbe, der Bewegungsradius nicht größer als 6 km. Es musste ein Urlaub her. Das Ding war wie schon gesagt nur, dass wir mit Sprotte nicht einfach ein Städtetrip machen konnten oder in einem x-beliebigen Hotel übernachten, in dem es ein Elternbett und ein separates Kinderbett gab. Nachtschlaf war nur mit Kontakt möglich, weshalb wir im Urlaub ebenfalls ein gemeinsames Bett brauchten. Auch die Art der Fortbewegung musste mit bedacht werden. Für uns waren Flexibilität in der Abfahrtszeit, Flexibilität in der Ankunftszeit, am besten mit wenig Lautstärke und die Möglichkeit sich zu bewegen, wenns nötig ist, eben unabdingbar. Ja und da standen wir dann vor der Herausforderung das alles unter einen Hut zu bekommen, ohne Camper. Nach langem hin und her überlegen, hatte Alex dann die Idee. Wir könnten im Zelt übernachten. Super Idee. Problem mit dem Schlafen gelöst. Blieben nur noch die Fragen nach der ruhigen Umgebung, womit wir reisen und an welchen Orten wir dann das Zelt aufstellen würden. Ich hätte schon wieder abgebrochen und gesagt, “ach dann geht’s halt doch noch nicht”. War einfach zu müde für die Komplexität der Planung. Die Überlegungen strengten mich schon so an und ich hatte natürlich auch Angst davor, dass wir dann keine schöne Zeit, sondern eine noch anstrengendere Zeit hatten, wenn wir unterwegs sind. Aber Alex ließ - ich bin so dankbar dafür gewesen und es noch immer - nicht locker und wir planten weiter. Kamen dann auf die Idee mit den Fahrrädern fahren zu können. Unser Gepäck würden wir schließlich mir unserem Lastenrad, dem E-Bike und unserem großen Thule-Anhänger transportiert bekommen. Minimalistisch Reisen war nichts Neues für uns. Wir wussten, dass wir das hinbekommen würden. Es nahm alles Formen an, wir waren begeistert von unserer Idee der Radreise und nahmen uns Greifswald als Ziel. Einen Besuch bei Teilen der Familie dort hatten wir eh geplant. Als Zeitrahmen für die Reise machten wir zwei Wochen fest. Es hatte gepasst, dass wir so ca. ne Woche hinfahren und dann 2-3 Tage bleiben konnten. Die Rückfahrt haben wir dann mit dem Zug gedacht. Ich recherchierte nach Campingplätzen, die ruhiger schienen und stieß dabei auf die App, damals noch “my Cabin”, heute “Nomady”. Parallel bestellten wir ein neues Zelt, eine große Isomatte, auf der ich mit Sprotte schlafen konnte, denn eine schmale für eine Person hatten wir noch, auf der Alex schlafen konnte und weiteres Equipment für unseren Camping Urlaub. Unsere Route planten wir dann entlang der “Zeltplätze”, die wir auf “Nomade” fanden. Durch unsere E-Bikes benötigten wir natürlich auch immer eine Möglichkeit über Nacht zu laden. Das machte die Sache etwas herausfordernder, aber am Ende stand eine Route, wir hatten das nötige Equipment zusammen und waren voller Vorfreude auf unsere Reise. Bezüglich der Route haben wir uns folgendes gedacht: Wir fahren immer so , dass es nach ca. 20 min Fahren mit dem Beginn des zweiten Tagschläfchens passen würde. Und rechneten, wenn Sprotte ca. 1,5 h schläft, wir schon 20 min vorher losfahren, dass wir dann so ca. 30-40 km am Stück schaffen könnten. Damit wir dann am Rest des Tages noch weitere 20 km, also ca. ne Stunde mit Pausen fahren könnten, wenn Sprotte wach ist. Im Nachhinein können wir berichten. Sprotte schlief während der Reise bis auf zwei kleine Ausnahmen nicht im Anhänger, es war wahrscheinlich alles zu neu und fühlte sich nicht sicher genug an und deshalb waren unsere geplanten Tagesrouten von teilweise 50-55 km einfach zu weit. Wir haben es immer irgendwie geschafft, aber es war auch sehr Kräftezehrend und es blieb keine Zeit, um beispielsweise mal vom Weg abzuweichen und nochmal 5 km zu einem nahgelegenen See zu fahren. Jeder km mehr war zu viel. Wir raten also allen, die so eine Reise mit Baby planen, zu Fahrten von maximal 20-25 km am Tag. Dann bleibt man flexibel und fährt viel entspannter durch den Tag. Die Erfahrung konnten wir nämlich auch machen als wir mal nur 23 km zwischen zwei Zielen fahren mussten.

Damit Sprotte sich an das Schlafen im Zelt gewöhnen konnte, schliefen wir drei Nächte vorher schon probeweise im Garten drin. Wir waren, was den Schlaf betrifft, damals in einer Phase, in der es plötzliches nächtliches Aufwachen mit viel Weinen gab und ein Herumtragen für’s erneute Einschlafen nötig war. So war’s auch in der ersten Nacht im Zelt, die wir dann auch im Haus Fortsetzen mussten, weil wir den Nachbar*innen nicht zumuten wollten, um 23 Uhr für unbestimmte Zeit unser Baby weinen hören zu müssen. Nach der Nacht waren die Zweifel wieder groß, ob unsere Fahrradreise nicht doch nur ein netter Plan bleiben würde. Wir blieben aber dran und begannen die zweite Nacht auch wieder im Zelt. Es lief viel Besser und in der dritten Nacht hat Sprotte super im Zelt geschlafen. Wir waren somit auch in Bezug auf das Schlafen guter Dinge. Dann ging es ans Packen. Was soll ich sagen, minimalistisch packen hin oder her, aber mit Zelt und riesiger Isomatte, Kleidung für alle Eventualitäten und diverses Beschäftigungsmaterial für Sprotte im Anhänger, kam dann doch ordentlich was zusammen. Wir haben jede Möglichkeit genutzt, um unser Gepäck an den Rädern, auf den Rädern, in und auf dem Anhänger zu verstauen. Beim Anblick dieser Gepäckberge auf den Rädern müssen wir wir heute noch lachen, wenn wir uns die Fotos angucken.

Berlin - Löwenberger Land

So voll gepackt sind wir dann am ersten Tag einfach losgefahren. Um erstmal aus der Stadt raus zu kommen, ohne schon drei Stunden Fahrrad fahren zu müssen, sind wir nur anderthalb Stunden zu einem Fernbahnhof in der Stadt gefahren und da in den Regio gestiegen Das war schon die erste Herausforderung für uns. Wir verpassten den BD Regio, weil ich meine Geldkarte im Automat stecken ließ und mir dies erst nach einem Gleiswechsel auffiel, sie dann aber beim erneuten Aufsuchen des Automaten keine Karte mehr da war. Musste also erstmal die Karte sperren. Dann stellte sich noch heraus, dass Lastenräder eigentlich nicht in der Bahn mitfahren dürfen. Glücklicherweise trafen wir auf einen kulanten Mitarbeiter der ODEG, der uns mit ganz viel Kulanz doch mitfahren ließ. Wir sind dann nach einer Verzögerung der Fahrtzeit von 30 min am Nachmittag In dem Ort angekommen, wo sich unser erster Schlafspot befand. Da blieben wir zwei Nächte, damit wir erstmal im Camping Modus ankommen konnten. Die erste Nacht lief nach einer längeren Einschlafbegleitung via Spaziergang super. Am Nächsten Tag haben wir das Löwenberger Land mit dem Rad erkundet und sind einmal zum Schloss Liebenberg und dann, weil das erste Tagschläfchen anstand, wieder zurück gefahren. Das hat Sprotte sogar noch im Hänger gemacht. Die Landschaft war sehr schön zum Radfahren, viel Wald und Felder. Fanden wir supi. Als wir wieder am Zelt angekommen sind, haben wir erstmal Mittag gekocht. Am Nachmittag kam uns in den Sinn irgendwie noch etwas erleben zu wollen und wir dachten uns, wir laufen mit dem Anhänger, umgebaut zum Wagen, mal in die andere Richtung, um die Umgebung zu erkunden. Unsere Hoffnung war, dass wir so das zweite Tagschläfchen abhalten können. Allerdings wollte Sprotte nicht im Wagen sein und blöderweise haben wir die Trage vergessen gehabt. Wir waren schon zu weit weg, als dass wir nochmal umdrehen konnten und es dann zeitlich noch gepasst hätte wieder loszulaufen. Also versuchten wir Sprotte so in den Schlaf zu tragen, jedoch ohne Erfolg und somit blieb nur zu Stillen. Dafür setzten wir uns an den Feldrand, neben der Bundesstraße und ich stillte Sprotte in den Schlaf. Da das Umlegen in den Anhänger noch nicht zuverlässig funktionierte, blieb es dann dabei, dass ich Sprotte auf dem Arm trug. Die Zeit war dann natürlich mittlerweile schon so weit fortgeschritten, dass wir wieder nur zurück liefen, uns um’s Abendessen kümmerten und für’s Bett bereit machten. Sprotte nahm noch eine Bad in einer unserer Ortlieb-Wannen und hatte viel Spaß.

Löwenberger Land - Lychen

Nach der zweiten Nacht begann dann unsere Reise so richtig. Wir sind ab dann jeden Morgen nach dem gleichen Ablauf vorgegangen: Wenn Sprotte wach war, sind wir aufgestanden. Haben dann in ruhe Frühstück gemacht, unser Geschirr in unserer kleinen Ortlieb Wanne abgewaschen. Wenn wir dann mit allem durch waren, war auch schon wieder Zeit für den ersten Tagschlaf. Wir spannten die Hängematte und ich legte mich zum Einschlafstillen mit Sprotte rein und blieben da für die Zeit des Schlafens. Währenddessen ging Alex meistens duschen und packte all unsere Sachen zusammen. Das hieß: Isomatten, Schlafsäcke wieder zusammen rollen, Zelt abbauen, unsere Trinkflaschen nochmal auffüllen, Wassersack vom Duschen ausleeren, alle Klamotten wieder in die Taschen rein und die Räder beladen. So hat Sprotte nach dem Aufwachen nochmal was Kleines gegessen, wurde gestillt und abgehalten. Und wir konnten direkt losfahren. Was dann folgte war wirklich krass. Unsere Routen haben wir uns von Komoot planen lassen. Es waren 53 km bis zum nächsten Schlafplatz in Lychen. Ich erwähnte schon, dass es viel zu weit war. Die Wege waren von der Beschaffenheit her sehr durchwachsen - von glattem Asphalt über Wiesenwege hin zu holprigen, fast unbefahrbaren Feldwegen. Sprotte fand zu dem Zeitpunkt alles was nicht ruhiges Fahren bedeutete schrecklich, weshalb wir an dem Tag sehr viele km mit Sprotte vorne im Thule Yepp gefahren sind. Glücklicherweise hatten wir den als Alternative mitgenommen. Ohne diesen Sitz wären wir ganz sicher an vielen Orten nicht angekommen. Unser einziger Kritikpunkt an dem Fahrradsitz ist, dass die Gurte leider ohne ein Zusammenbinden vor der Brust, immer von den Schultern gerutscht sind. Egal wie fest sie angezogen waren. Habe das auch von einer Freundin gehört gehabt, die den Sitz auch im Alltag verwendeten - handelt sich also um kein Einzelphänomen. Ich hoffe, dass Thule da bei den Nachfolgermodellen nachgearbeitet hat. Unser Hack an der Stelle war, dass wir die Gurte vor der Brust mit einem Band zusammengebunden haben und nur die nötigsten Wege mit Sprotte darin fuhren. Das zweite Schläfchen fand dann, in den Schlaf gestillt, irgendwo am Rande einer kleineren Straße unter Bäumen auf unserer Picknickdecke statt. Wir konnten also nicht wie geplant ordentlich Strecke machen, während Sprotte im Anhänger schlief. Wir nahmen die Situation an, nutzten die Zeit fürs Kochen und fuhren nach Beendigung des Schläfchens und dem gemeinsamen Essen weiter. Die Fahrt war weiterhin geprägt von vielen Pausen zum Stillen, dem Wechsel des Unterhaltungsangebots im Anhänger und der Sorge, dass wir nicht an unserem Schlafplatz ankommen würden und uns irgendwo noch einen anderen Platz zum Zelten suchen mussten. Glücklicherweise haben wir es aber doch geschafft. Wir kamen kurz vor Sprottes Schlafenszeit an, nachdem wir im Vorort noch was für’s Abendessen besorgten. Wir mussten alle noch was essen, das Zelt musste aufgebaut, alle Sachen, die wir zum Schlafen benötigten zusammengesucht und die Fahrräder abgeladen werden. Während ich also mit Sprotte aß, kümmerte Alex sich um unsere Unterkunft. Es kommt sicher die Frage auf, warum alles so genau sein musste. Im Urlaub hätte man doch auch flexibel sein können und dann geht das Kind eben mal bisschen später schlafen. Ja diese Gelassenheit haben zu können, hätten wir uns sehr gewünscht, allerdings war es nicht möglich die Situation so zu händeln. Jede Minute länger wach und weiter entfernt vom benötigten Einschlaf-Zeitpunkt bedeutete ein immer schlechteres Einschlafen und vor allem auch Überreizung und viel Weinen. Wir hatten schlicht und ergreifend kein Baby, dass Abweichungen ganz einfach wegstecken konnte. Am Ende hat alles irgendwie gepasst und wir konnten passend ins Zelt schlupfen. Bezüglich des Schlafs, stellten wir fest, dass Sprotte noch nie so gut geschlafen hat, wie im Zelt. Wir sind ins Bett gegangen und ich musste Abends, bevor ich geschlafen habe noch einmal stillen und dann erst am Morgen wieder. Ich kann gleich sagen, dass sich das sofort wieder änderte, nachdem wir wieder zu Hause und das im Zelt Schlafen vorbei war. Wir hatten diesbezüglich offensichtlich genau den richtigen Zeitpunkt für unsere Reise erwischt. Was das erste Mal auf der Reise funktionierte war das Ablegen beim Schlafen am Tag. Sprotte schlief also bevor wir losfuhren im Schatten auf einer Decke und ich hielt mich daneben auf und hörte Musik, während Alex unsere Räder wieder abfahrbereit machte. In diesem Moment hatte ich das erste Mal seit sehr langer Zeit wieder das Gefühl teil dieser Welt zu sein. Ich lag ohne ein kleines Lebewesen im Schatten auf einer Wiese, blickte in den Himmel und konnte Musik hören. Ich war in dem Moment so dankbar dafür, dass Alex uns mit seiner Zuversicht und seinem Mut auf diese Reise geführt hatte.

Lychen - Neverin

Dieser Tag war der heißeste der Woche. Vor uns lagen 54 km, also wieder eine der längeren Routen. Unser Ziel war das Zuhause eines langjährigen Freundes von mir, der auch damals vor wenigen Wochen Papa geworden ist. Da wir uns lange nicht gesehen haben, war es super schön, dass dieser Besuch auf unserem Weg lag. Wir grillten zum Abendessen. Zumindest Alex konnte noch mit am Tisch sitzen, ich lag währenddessen mit Sprotte im Bett. Natürlich lag das Baby von unseren Freund*innen zeitgleich ganz entspannt schlafend im Wagen. Der Kontrast war auf jeden Fall da. Da wir es nicht anders gewohnt waren wie unsere Abende abliefen, konnten wir drüber schmunzeln. Während alle am Tisch aßen, bekam ich mega leckeres Essen ans Bett geliefert. Es ging mir also schon schlechter und ich konnte vom Zelt aus zuhören und war irgendwie so auch das erste Mal seit Sprottes Geburt Teil einer sozialen Interaktion am Abend. Danach bekamen wir Schlaf in einer regnerischen Nacht und waren froh, uns für eines der besseren Zelte auf dem Markt entschieden zu haben. So mussten wir uns keine Gedanken über Nässe im Innenraum machen und auch unsere ganzen Taschen sind im großen Vorzelt nicht nass geworden. Deshalb ist unsere Empfehlung ganz klar, ein sehr gutes Zelt mit großem Bereich davor zu wählen. Wir hatten zwar alles in Wasserfesten Taschen und Packsäcken verstaut, aber es war ganz klar von Vorteil nicht jeden Abend erstmal den Schlafraum des Zeltes vollstellen zu müssen.

Neverin - Bartow

Wir sind also trocken in den nächsten Tag gestartet und hatten einen Stellplatz an einer alten Ruine in Bartow als Tagesziel. Auf dem Weg dahin begann es zu stürmen. Die Routen führten uns teilweise über die Bundesstraße, was maximal anstrengend war. Sprotte war das ganz und gar nicht geheuer alleine im Anhänger zu sitzen, während der Wind am Anhänger rüttelte und die Autos schnell an ihm vorbei sausten. Absolut verständlich. Wir waren also noch nie so weit weg vom Mittagsschlaf im Anhänger wie an diesem Tag. Wir suchten auf Google Maps und Komoot nach Alternativen zur Route und fuhren in einen Feldweg rein, der sich dann aber im weiteren Verlauf als wirklich unbefahrbarer Landwirtschaftsweg entpuppte. Wir entschieden im Schutze von Hohen Gräsern stehen zu bleiben und eine Pause zu machen. Mittlerweile waren wir nämlich im Zugzwang was den zweiten Tagschlaf anging. Ich schnallte mir also die Trage um und begleitete Sprotte in den Schlaf. Alex hatte mir inzwischen mit unseren Taschen in Kombi mit dem Bullitt eine Sitzgelegenheit gebaut und so auch einen geeigneten Windschutz errichtet, damit wir uns einen Kaffee kochen konnten. Diese Pause tat sehr gut, Wir konnten uns Regulieren und Mut für die kommenden Kilometer zusprechen. Es waren zwar an dem Tag nur 28 km vor uns, aber die Bedingungen machten das Fahren echt zu einer großen Herausforderung. Dass das noch harmlos war, im Gegensatz zu dem, was uns am nächsten Tag erwartete, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Der Wind ließ irgendwann nach und wir konnten die letzten Kilometer sogar im Sonnenschein fahren. Unsere Ankunft fand dann sogar noch pünktlich vor dem Abendessen statt und so war unser Abend recht entspannt. Die Nacht war durchzogen von kleinen Regenschauern. Aufgewacht sind wir dann aber bei strahlender Sonne. Wir spielten auch an diesem Morgen unsere üblichen Routinen durch. Frühstück, anschließend ab in die Hängematte zum Einschlafstillen und Schlafen, alle Sachen zusammenpacken und Fahrräder beladen.

Bartow - Greifswald

Diese Fahrt starteten wir also dann bei perfektem Wetter, es war sonnig und ein leichter Wind machte die Temperaturen sehr angenehm. Wir kamen gut voran, bis es sich ziemlich plötzlich zu zog. Auch an dem Tag blieb das erhoffte Einschlafen im Anhänger aus. Also entschieden wir beim Anblick der sich türmenden Wolken stehen zu bleiben und Sprotte wieder in der Trage in den Schlaf zu begleiten. So stehend konnten wir wenigstens alles wind-und regenfest machen und dachten uns, im besten Fall konnten wir nach dem Schläfchen bei sonnigem Wetter ohne Wind weiterfahren. Es wehte ordentlich, zum Schutz vor möglichem Regen, hatten wir mich liegend mit Sprotte auf dem Bauch in unsere Picknickdecke mit wasserfester Unterseite wie ein Burrito eingerollt. Alex war von oben bis unten in Regenkleidung gehüllt und blieb bei den Rädern stehen, damit er sie - wenn nötig - vorm Umkippen bewahren konnte. Wir harrten aus, die Wolken zogen vorbei, Nass wurden wir nicht. Es war auch sogar wieder sonnig, aber weiterhin sehr windig. Und es kam wieder die Bundesstraße. Es fühlte sich endlos an und waren die schlimmsten 5 km, die wir je mit dem Fahrrad zurückgelegt haben. Das Problem war nicht der Wind an sich. Das Problem waren die ständigen Kurven, die dafür sorgten, dass der Wind ständig aus anderen Richtungen kam und die Bäume, die mal da und mal weg waren, und so das Rad mit dem vielen Gepäck ziemlich trudeln ließen. Noch dazu hatten wir ein Baby dabei, das keine einzige Minute länger im Anhänger sitzen und wir es nicht allein vor Angst im Anhänger schreien lassen wollten. Wieder schauten wir nach anderen Wegen. Es gab keine, die wir von dem Standpunkt, an dem wir uns befanden, erreichen konnten. Also blieb und nur übrig den Fahrradsitz vorn zu nutzen und uns von Bushaltestelle zu Bushaltestelle zu hangeln. ich hatte vorher noch nie so große Angst davor mit dem Fahrrad zu stürzen. Ich klammerte mich am Lenker fest, damit wir sicher zum nächsten Stopp kamen. Sprotte war es nicht ganz geheuer, aber es war auf jeden Fall anerkannt und besser als allein im Anhänger zu sein. Nach der dritten Bushaltestelle stillte ich noch einmal, zur Regulation, für die Nähe und für einen kleinen Snack. Kurz vor Greifswald, am letzten Stopp, versuchten wir nochmal unser Glück und setzten Sprotte in den Anhänger. Wir hofften so wenigstens die letzten 100 Meter bis zum Fahrradweg zu schaffen. Es funktionierte und lustigerweise schlief Sprotte mit dem Passieren des Ortseingangs ein. Wir hatten es irgendwie geschafft und waren überglücklich und erleichtert, dass wir das ohne Schlimmeres überstanden hatten. Wir blieben vier Tage in Greifswald, hatten eine schöne Zeit mit unserer Familie und nahmen dann den Zug zurück nach Berlin. Diesmal fuhren wir mit dem RE und haben unser Rad irgendwie zwischen die anderen Räder geschmuggelt. Das war dank der Völle des Zuges kein Problem. Dass der Zug so voll war, stellte uns eher vor die Herausforderung, dass Sprotte in Ruhe sein Schläfchen machen konnte. Ich war sehr dankbar für jede Person, die sich nicht neben mich auf den Sitz gequetscht hat, nachdem sie mich stillend gesehen hat. Sprotte schlief ein und glücklicherweise eine ganze Stunde durch. Alex hatte einen Platz im unteren Teil des Zuges im Fahrradabteil bekommen. Nachdem Sprotte wieder wach war, verbrachten wir die restlichen Minuten Fahrt noch gemeinsam. In Bernau endete dann der Zug und wir mussten in die S-Bahn umsteigen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren alle Aufzüge so groß, dass unser Lastenrad genau diagonal hineinpasste. Die Betonung liegt auf “bis dahin”. Denn richtig, in Bernau war der Aufzug nur um wenige Zentimeter kleiner und wir bekamen das Lastenrad nicht hinein. Da ich Sprotte in der Trage hatte, konnte ich beim Hochtragen nicht mit anfassen, Unsere S-Bahn fuhr auch noch unregelmäßig und wir mussten die Nächste unbedingt bekommen. Wir wollten bei Sprotte kein Kippen der Stimmung riskieren, weil der Trubel auf dem Gleis und in den Bahnen schnell zur Überreizung hätte führen können. Dank mehrerer toller Personen, die uns ihre Hilfe angeboten haben, konnten wir dann doch voller Dankbarkeit in die nächste Bahn einsteigen und haben diese Reise glücklich abschließen können.

Unsere Learnings der Reise

Emotionales

Diese Reise hat uns gezeigt, dass wir angepasst an unsere Bedürfnisse, den Mut haben dürfen mit unserem Kind zu reisen. Dass wir zu Hause jeden Tag vor neue Herausforderungen gestellt wurden und dies woanders genauso war, wir jedoch nebenbei noch in Bewegung waren, neue Dinge erlebten, die uns Erfüllten, die Natur um uns herum hatten und Selbstwirksamkeit als Eltern erleben konnten, weil wir diese Herausforderungen gemeinsam bewältigt bekamen.

Zu diesem Zeitpunkt mit Sprotte als High-Need-Baby hatte ich 10 Monate hinter mir, in denen ich keinerlei Autonomie erleben konnte, Tag für Tag überreizt war und keine Ahnung mehr davon hatte wer ich eigentlich war und wie viel ich schaffen konnte, obwohl ich jeden einzelnen Tag über meiner Grenzen ging und, wie ich jetzt weiß, trotz Wochenbettdepression jeden Tag, hauptsächlich alleine, für das Überleben dieses kleinen Wesens sorgte. Mich hat diese Reise wieder ein Stück spüren lassen, dass ich auch außerhalb der gewohnten Umgebung überleben konnte und in der Lage war für mein Kind und mich da zu sein.

Organisatorisches

Wir können sagen: Bei den Klamotten ist weniger ist ganz klar mehr.

Wir hatten viel zu viel Kleidung für uns alle dabei. Von allem 3 und man ist gut dabei, würden wir sagen. Must Haves waren für uns außerdem:

  • unsere faltbaren Ortliebwannen,  5l zum Abspülen & 20l als Badewanne
  • Ortlieb Waterbag und der Ortlieb Watersack mit Duschaufsatz.
  • Packsäcke, Wasserdicht von Ortlieb
  • eine vernünftige Isomatte, die auch die Kälte abhält, unsere: Exped Mega Mat Duo & Exped Versa 5R
  • ein Zelt mit großem Vorzelt und guter Außenhaut, unseres: Nordisk Oppland 4
  • Stirnlampen 
  • Thule Yepp als Alternative zum Anhänger
  • wir ergänzen, wenn uns noch was einfällt : )

 

Der Beginn unserer Familienreisen

Diese Reise hat uns den Weg für alle weiteren Reisen als Familie geebnet und uns den Mut gegeben wieder mehr das zu erleben, was wir immer liebten:

Gemeinsam draußen unterwegs sein.

Früher zu zweit, von da an zu dritt.


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